Die Anforderungen an einen Beruf – woher resultieren die und warum nicht alle von der gleichen „Sache“ reden

Die Anforderungen an einen Beruf – woher resultieren die und warum nicht alle von der gleichen „Sache“ reden<br><img class="text-align: justify" src="https://bildungswissenschaftler.de/wp-content/uploads/2013/07/theorie_120.png"/><img class="text-align: justify" src="https://bildungswissenschaftler.de/wp-content/uploads/2013/07/praxis_120.png"/>

Gleich vorweg – es ist fast unmöglich für mich in einem Blogbeitrag alle Elemente der Berufsordnung zu beschreiben. Daher möchte ich mich auf einen Kern konzentrieren, der häufig in der Berufsorientierung von Jugendlichen zum Tragen kommt: Es geht um die Anforderungen an einen Beruf.

In aller Regel steht bei den Jugendlichen die Frage im Raum, welcher Beruf es sein soll. Was passt zu mir, bin ich geeignet für den Beruf und erfülle ich die Anforderungen. Leider wird die Frage, woher die Anforderungen resultieren und wer diese warum so festlegt nur selten gestellt. Die Frage, ob man denn mit seinen Kompetenzen dennoch die Arbeit in dem Beruf ausüben kann noch viel seltener. Ich persönlich gehe davon aus, dass sie von Jugendlichen faktisch nicht gestellt wird. Und dort wo sie gestellt wird, kann man durchaus ein „so ist das nun einmal, man kann sich nicht alles aussuchen“ erwarten. Eine klassische Fokussierung auf die Bewegung in den gegebenen Rahmenbedingungen ist die Regel.

Etwas trockene Theorie kann ich leider nicht vermeiden. Nehmen wir hier einmal das Beispiel des Industriemechanikers.  Verschiedene Menschen interpretieren in den Berufsbegriff unterschiedliche Sachinhalte und wir können davon ausgehen, dass die Akteure zwar meinen von der gleichen Sache zu sprechen, es aber nicht tun.

Turbinenstand

Verschiedene Sichtweisen

In dem Beispiel des Industriemechanikers sieht der eine umgangssprachlich einen formal anerkannten Beruf, den ein Mensch als Tätigkeit in einer Firma ausübt. Andere sehen in einem Beruf einfach eine rein inhaltliche Tätigkeit in einem Betrieb – eine Anerkennung spielt keine Rolle. Wieder andere sehen in einem Beruf eine Erlaubnis, eine bestimmte Tätigkeit überhaupt ausüben zu dürfen und dann gibt es noch den Blick der deutschen Ordnungspolitik, die in dem anerkannten Beruf ein gesellschaftliches Ordnungs- und Organisationsinstrument sehen und seine Struktur in einem theoretischen Konstrukt beschreiben.

Jede dieser Sichtweisen kann durchaus andere Anforderungen an einen Beruf begründen. So müssen die Anforderungen in unserem Beispiel des Industriemechanikers jedoch nicht zwangsläufig den Anforderungen des theoretischen Konstruktes des Berufes entsprechen. Diese können real anders sein. Diese Umstände können zu Missverständnissen zwischen den Akteuren führen, allerdings auch zu fatalen Konsequenzen bei dem Start in die Ausbildungs- und Arbeitswelt.  Stellen wir uns einen „Ratgeber“ vor, der aufgrund der „Beruflichen Anforderung“ wie auch immer gemeint, von dem Beruf abrät bzw. keinen Zugang verschafft obwohl es sich um einen Wunschberuf handelt.

Ordnungspolitische Institutionen, wie zum Beispiel die Arbeitsagentur, sind mit der Beratung der Jugendlichen beauftragt. Hier werden die beruflichen Anforderungen herangezogen, die in den Ausbildungsordnungen der Berufe beschrieben werden. (Wer genau wissen möchte, wie diese entstehen, kann sich kostenfrei beim Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) die Handreichung „Ausbildungsordnungen und wie sie entstehen“ herunterladen).

Unterschiedliche Anforderungen an den gleichen Beruf in verschiedenen Betrieben

Ein bekanntes Buch der Agentur für Arbeit, in welchem alle Anforderungen der Berufe zusammengefasst sind, ist das „Berufe Aktuell“ oder digital das Portal „BerufeNet“. Die Beschreibungen der Anforderungen in den Publikationen resultieren, bedingt durch die Entstehung der Ausbildungsordnungen, nur indirekt aus der betrieblichen Praxis der Unternehmen. Sie können immer nur ein auf Schnittmengen reduziertes Abbild darstellen. Der Grund liegt in der Heterogenität der Betriebe und Firmen. Damit ist zum Beispiel die Unterschiedlichkeit der Unternehmensgrößen (Mitarbeiterzahl) wie auch die unterschiedliche Fachkompetenz der Betriebe gemeint. So kann ein Industriemechaniker in der Turbinenmontage eines international tätigen Konzerns arbeiten oder als produzierender Mitarbeiter bei einem 6 Personen großen Sondermaschinenbauers, der Maschinen in höchster Qualität fertigt.  Ebenso wird von dem international arbeitenden Turbinenmonteur neben Fremdsprachen auch eine hohe Kommunikationskompetenz mit Blick auf Großkunden erwartet – eine Kompetenz, die möglicherweise bei dem kleinen Sondermaschinenbauer nicht so ins Gewicht fällt.

Fräsmaschine

Der Beruf soll seinem Träger zwar Tauschwert der Arbeit und ganzheitliche Handlungskompetenz geben (Hauptfunktion des Berufes), andererseits aber auch eben ein möglichst weites Feld an technologischer Gemeinsamkeit der Unternehmen einbeziehen. Hier wird auch ein Tauschwert des „Mitarbeiters“ für die Unternehmen generiert, der sicherstellt, dass der Berufsabsolvent in verschiedenen Betriebsstrukturen tätig sein kann. So schneidet zum Beispiel der vorhin benannte Turbinenmonteur ein Gewinde genauso, wie der Sondermaschinenbauer. Insofern erfüllt das Berufsprinzip auch eine Solidarfunktion, aber was nützt es dem einzelnen, wenn er eben diese „Gesamtanforderungen“ nicht erfüllen kann und damit tatsächlich auch für einzelne Komponenten der Anforderungen keine Anerkennungen erfährt und somit einem Betrieb (formal) nicht zur Verfügung steht.

Zertifikatorientierung vs. Kompetenzorientierung

Kurz gesagt, es ist ein sehr schwieriges Unterfangen, die Anforderungen für einen Beruf zu formulieren und in Folge an die Jugendlichen und an die Betriebe anzulegen. Das Problem des unterschiedlichen Verständnisses kann sich als sehr störend in Beratungsprozessen und in der Berufsorientierung erweisen. Um Kommunikationsunsicherheit zu vermeiden scheint es wichtiger denn je, allen Akteuren nachvollziehbar zu vermitteln, dass die Anforderungen an einen Beruf keine universale Gültigkeit besitzen, aber Teil der Formalstruktur sind. Speziell die Unternehmen sollten sich aber im Klaren sein, dass Sie erfolgreicher Nachwuchs gewinnen können, wenn sie auf Kompetenzorientierung setzen.

Die hier beschriebenen Umstände gehören auch in die Diskussion um die Zertifikatorientierung in Deutschland und in die Einordnung von Kompetenzen in diesen Kontext. Denn was nützt es, wenn jemand zwar die Kompetenz hat etwas zu erledigen, es aber nicht darf, weil es nicht zertifiziert ist. Anders gesagt kann es bedeuten, dass durchaus die Jugendlichen in der Lage sind und die Kompetenzen besitzen, einen Beruf sehr gut auszuüben, aber nicht über ein Zertifikat verfügen, was zur Ausübung berechtigt.

©2016 Achim Gilfert. Dieser Beitrag ist zur Weiterverbreitung nach den in diesem Blog veröffentlichten Regeln zum Urheberrecht veröffentlicht. Diese Regeln finden Sie hier: Urheberrechtshinweise.

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