Kleine Betriebe im Übergangsgeschehen maches mal überfordertPraxis

Kleine Betriebe im Übergangsgeschehen maches mal überfordertPraxis  <br><img class="text-align: justify" src="https://bildungswissenschaftler.de/wp-content/uploads/2013/07/praxis_120.png"/>

Dieser Beitrag bezieht sich auf die größte Gruppe von Betrieben unter Berücksichtigung der Mitarbeiterzahl. 95 Prozent aller Betriebe in Deutschland haben weniger als 50 Mitarbeiter und damit in aller Regel keine reinen Personalabteilungen. Bei den Betrieben mit weniger als 20 Mitarbeitern, die 90 % aller Betriebe in Deutschland ausmachen, finden sich üblicherweise keine Mitarbeiter, die sich hauptberuflich mit dem Personal beschäftigen, geschweige denn mit dem Nachwuchs. Denn hier ist noch der Unterschied der Zielgruppe zu vermerken, da Bewerber um eine Ausbildung in aller Regel Jugendliche sind, die aufgrund ihrer psychologischen Entwicklungsstufe und ihrem bisher erlebten, nicht wie langjährige Erwerbstätige behandelt werden können. Dieser Unterschied führt sogar bei großen Unternehmen das eine oder andere Mal zu Schwierigkeiten. Erst langsam stellen die Betriebe sich auf besondere Wege der Rekrutierung von Nachwuchs ein. Meist sind z.B. „neue Medien“ zwar in Gebrauch, werden aber nicht zur systematischen Rekrutierung von Nachwuchs genutzt.

Wenn wir in diesem Beitrag über Betriebe sprechen, reden wir von den oben genannten 95 Prozent mit weniger als 50 Mitarbeitern. Das bedeutet, dass die annähernd ausschließlich auf Großunternehmen abgezielten Bewerbungstrainings und Hinweise sowie auch die eine oder andere selbsterklärte Norm, sich erst mal von den Bewerbungsverfahren kleiner Betriebe unterscheiden. Die “Richtigkeit” von Bewerbungen und Unterlagen orientiert sich fast nur an dem Abnehmer Großbetrieb. Ein Grund dafür kann einfach in der Ressource liegen, die den größeren Betrieben zur Verfügung stehen. Die Macht und der Glamour der großen Betriebe überstrahlt alles andere, obwohl sie sich zahlenmäßig in der Minderheit befinden. Gehen wir im folgenden Beispiel von einem Betrieb aus, der 10 Mitarbeiter hat und Inhabergeführt ist. (Wer die Gedanken bei der Auswahl von Bewerbern im Kleinbetrieb näher kennen lernen möchte, dem empfehle ich den Beitrag “Ja wen nehme ich denn nur? – Ein Kleinbetrieb wählt aus“). Nehmen wir einfach die Stadt Hagen in NRW. Im Schnitt finden sich hier um die 4.500 Betriebe, wovon ca. 28 % (1260) im Schnitt ausbilden. Mal mehr Mal weniger. Dabei gibt es in diesem Fall ca. 39 Zeitarbeitsfirmen, 18 Bildungsdienstleister verschiedener Qualitäten, eine Kreishandwerkerschaft, einen Arbeitgeberverband, eine zugehörige Handwerkskammer sowie eine Industrie- und Handelskammer. Dazu kommen noch verschiedene Wohlfahrtsverbände, die Bundesagentur für Arbeit, die ARGE, Jobcenter sowie weitere Initiativen, die sich strukturell mit dem Thema auseinandersetzen. Zusätzlich finden sich ungefähr 40 Schulen und Kollegs verschiedenster Formen (ohne Grundschulen).

Nun gibt es an allen Stellen, gerade vor dem Hintergrund geringer werdender Schülerzahlen und des größer werdenden Desinteresses an dualer Berufsausbildung, große Bemühungen die vielen (vermeintlich) offenen Ausbildungsplätze zu besetzen. Dazu sind überall Vermittler unterwegs. Und sehr häufig werden die gleichen Jugendlichen auch von verschiedenen Stellen betreut (z.B. von der Bundesagentur für Arbeit und einem Träger der Ausbildungsförderung sowie ggf. noch als Bewerber bei der Handwerkskammer). Wir können mal ein wenig rechnen. Ca. 20 Schulen beschäftigen mindestens einen Sozialarbeiter, der oder die die Jugendlichen in Ihrer Entwicklung fördern sollen, sich jedoch auch aktiv an Betriebe wenden um “ihre Kinder” unterzubringen. Also 20 Personen. Zusätzlich finden sich knapp 10 Vermittler aus den Wirtschaftsverbänden. Und bei den Trägern von Maßnahmen und bei Wohlfahrtsverbänden können wir mal immer 2 Mitarbeiter mit dieser Aufgabe annehmen. Irgendwie dürfte sich die Zahl der aktiv in Vermittlungsprozesse eingreifenden Menschen bei 140 annehmen lassen. Jetzt stelle man sich vor, was bei so einem Betrieb mit 10 Mitarbeitern aufläuft. Zig Zeitarbeitsfirmen die Ihre Dienste anpreisen. Neben den üblichen Werbeanrufen von Versicherungen, Netzwerken und anderen Akteuren, kommen nun unzählige Anrufe von den Vermittlern. Akquisitionsanrufe von Institutionen zur Koordination der Übergänge zur Abfrage der Bedarfe oder Ausbildungszahlen. Viele Bewerber, die sich selbst um Ihre Lehrstellen kümmern und vor Ort auflaufen. Ein Wust an Briefen, Faxen oder im Besonderen Mails zur Werbung für „den oder die geeignete Auszubildende“. Ach ja, und Kunden rufen nebenbei auch noch an. Wir haben in einer kleinen Umfrage in unserem Kompetenznetzwerk für Oberflächentechnik e.V. festgestellt, dass z.B. mindestens 40 Prozent der eingehenden Mails nichts mit dem Produkt oder dem betrieblichen Alltag zu tun haben. Hier wäre es mal gut, eine genauere Erhebung zu starten.

Aber im Ernst: wie kann das ein kleiner Betrieb verarbeiten, wenn man sich überlegt, dass der Betrieb das nicht tut, sondern die Menschen, die in dieser Struktur arbeiten. Sicherlich nicht so intensiv und in der gebotenen Sorgfalt, die ein systematisches Vorgehen begründen würde. Ich kann die Betriebe völlig verstehen, wenn sie sich abgrenzen und nicht mehr mit jedem sprechen wollen, sich am Telefon z.B. von der Bürokraft verleugnen lassen oder einfach die Ausweichantwort “schicken sie mir Informationen” loslassen. Man stelle sich auch vor, dieser Betrieb erhält eine Vielzahl von Bewerbungsmappen von allen möglichen Stellen. Wie soll der Betrieb das adäquat bearbeiten, wenn er nur einen Azubi braucht. Auch hier habe ich Verständnis, wenn sich Betriebe einfach nicht zurückmelden oder keinen “regulären” Schriftverkehr führen. Geschweige denn etliche Bewerbungsgespräche führen. Auch wenn es sich schlimm anhört. Wenn der 20te Vermittler ankommt, hat man häufig einfach keine Lust mehr. Man resigniert und gibt auf. Der daraus resultierende Effekt kann eine Überforderung des Betriebes sein und führt in unzähligen Fällen zu der Entscheidung: Ich bilde dieses Jahr nicht aus.

Eine kleine Anekdote aus meiner Tätigkeit. Der Rekord lag bei 8 Bewerbungen der gleichen Person für die gleiche Stelle, aber aus 8 unterschiedlichen Quellen. Was soll man da denken. Ich gebe zu. 8 ist viel… 3-4 ist normal. Mal gar nicht die dazugerechnet, die sich bei demselben Betrieb, demselben Ansprechpartner mit der gleichen Mappe 6-mal nur auf verschiedene Berufe bewerben. Also alles gleich und nur der Beruf wurde geändert. Der Text entspricht sehr oft nur Worthülsen, die maximal schwammig sind. Oder wenn schon aus der Ferne zu erkennen ist, dass es sich wieder um Vordrucke handelt, die nicht angepasst sind. Mit Übung lässt sich auf den ersten Blick erkennen, von welchem Träger, welcher Schule oder aus welcher Maßnahme eine Bewerbung kommt. Ganz persönlich halte ich Vordrucke sowieso nicht für adäquat, da auf diesem Wege die Beschäftigung mit dem eigenen Ich des Bewerbers verhindert werden kann. Als Grund für die Vordrucke wird in aller Regel die Möglichkeit der Reduzierung der Arbeitsbelastung von Bewerbungstrainern angegeben. Was kann da der Betrieb nun tun? Eine der Möglichkeiten besteht darin, das sich mehrere Unternehmen in Netzwerken zusammen finden und gemeinsam Strukturen nutzen, um adäquat für duale Berufsausbildung zu werben und vor allem Verfahren zu entwickeln, dass dem einzelnen keine Bewerber verloren gehen. Das kann nämlich auch den Kreislauf anschieben, dass sich immer weniger junge Menschen für eine duale Berufsausbildung interessieren.

©2014 Achim Gilfert. Dieser Beitrag ist zur Weiterverbreitung nach den in diesem Blog veröffentlichten Regeln zum Urheberrecht veröffentlicht. Diese Regeln finden Sie hier: Urheberrechtshinweise.

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